SOUNDS LIKE FUN
Die Furcht vor einem unbeschriebenen Blatt Papier ist absolut unbegründet. Es wartet geduldig darauf, mit dem neuesten von niemandem bisher Gedachten und Denkbaren beschrieben zu werden. Sollte es vorerst nichts damit werden, wird das Blatt rücksichtslos zerknüllt und in die blaubedeckelte Papiermülltonne geworfen. Nach 12 Stunden Überlegung ohne Resultat sind dieser Zeitpunkt und der Abend gekommen. Mit Flipflops, lächerlichen Boxershorts und Schiesserfeinripp-Hemdchen geht es energischen Schrittes bei Minusgraden zum Straßenrand, wo die Tonne steht. Morgen wird sie abgeholt und der nichtgefundene Gedanke gleich mit. Deckel auf, Knöllchen reingeworfen. Und was liegt oben drauf? Eine alte Autozeitschrift mit krisseligem Cover, dessen Headline mich anspringt:
DE TOMASO PANTERA: „Italoschlampe mit Löwenherz“
Wer hat die denn da reingelegt? Frechheit, dass so ein unwiederbringlicher Stoff verschwinden soll. Das war die Zeit, wo noch hinter der Schrankwand tapeziert wurde. Im Licht der Straßenlaterne und bei eisigem Wind wird eifrig geblättert, um den Artikel zu finden. In meinen Gedanken bin ich schon bei der Schlampe eingestiegen und lasse den Big Block röhren. Gleich geht’s los, dem Sonnenaufgang entgegen. Wie das so ist, nähert sich in diesem Moment, angetan mit einer Wellenstein-Kaffeewärmer-Steppjacke, die anorektische Nachbarin mit ihrem gefährlichen Dalmatiner. Der zieht ordentlich an der Leine, um mir seine Schnauze in den Arsch zu rammen. Sie sagt zu ihrem Köter “Komm weg da”, entreißt ihm sein Bouquet und zu mir sagt sie “Papiertonne war gestern”. Dann schnappt sie mir das Autoblatt aus der Hand. Weggeschnappt und ausgeschlampt für heute, so scheint es. Da braucht man ein Löwenherz, um durchzuhalten, und mir fällt plötzlich ein, dass mein Klobürstensockel in den Geschirrspüler passen könnte.
Da hält ein Taxi am Straßenrand und der Fahrer bietet mir, “Salem Aleikum”, seine Hilfe an. “Das ist sehr aufmerksam von dir mein Bruder. Fahr‘ er mich zum Funny-Club, bestell‘ er per Fernruf das Whirlpoolzimmer, auf dass ein einfacher Krieger zu Fuß darin die verdiente Rast finde und zwei schöne Tänzerinnen natürlich“. Den Ernst der Lage erkennend folgt der Nizarit strikt den Anweisungen. Das Ziel erreicht, eilt Thorsten, der Boss vom Funny, aus der Pforte, zahlt den edlen Droschkenfahrer und wirft mir einen Umhang aus wärmendem vegan gefüttertem Zobel über. Wir sind beide nahe den Tränen, soviel Zeit lag zwischen uns.
Beim treuen Gefolgsmann eingehakt und von ihm behutsam gestützt, erreiche ich die schweren Türen des sündigen Palastes, die, von stämmigen Dienern aufgetan, den Refrain eines mir wohlbekannten Liedes in die kalte Nacht entlassen. “I don´t think you trust in my self righteous suicide”, tönt es da aus Klipsch-Eckhörnern, die ihr Piemont-Kirschbaumfurnier stolz tragen, und eine großgewachsene blonde Isländerin, die sich eine resedagrüne Schlange über die Schulter geworfen hat, bietet mir aus einem Salviati-Pokal einen Happen vom Chop Suey an. “Ach, und ich dachte schon, es gäbe hier gefährliches Hüftgold”, sage ich zwinkernd zu ihr, als ich, den Bissen in der Wange verstauend, mit einer Sänfte fortgetragen werde.
Auf der Treppe zu den Steigenzimmern herrscht Gegenverkehr. Der Bürgermeister ist mit seiner Sänfte schon auf dem Abstieg. Er muss wohl zu Bett, morgen früh rufen ihn wieder die Pflichten, die auch seine Freuden sind. Wir klatschen uns Highfive ab und er gibt mir auch seine gut angerauchte Opiumpfeife in die Hand, deren Rauch ich, obwohl noch kauend, gierig einsauge, weshalb mir die Farben der „Hello Kitty“-Tangas der beiden Amazonen in der Tony Montana-Suite sehr frisch vorkommen.
Frau ist mit Naturschwämmen dabei, in einem von-Teese-Cocktailglas eine MV Agusta Brutale 600 ORO abzuseifen. Ich sehe das technisch durchaus kritisch, halte mich aber zurück. Dieses Land hat Kunstfreiheit. Später, im Bade, umkuschelt von den zwei Schönen, lasse ich die eine mir Sloterdijks „Sphären“ römisch eins lesen, während die andere mit den Füßen paddelt, um die Sphären römisch drei zu mehren. Ich streue ein Zitat aus „Zorn und Zeit“ ein: „Nicht die Menschen haben ihre Leidenschaften, die Leidenschaften haben vielmehr ihre Menschen.“ Ich finde die Worte passend. Meine Gefährtinnen überlegen noch, da kommt der Ableser für die Wasseruhr herein und stimmt mir zu. Er hat kein Problem damit. Gestern kam die Jobzusage vom Bundessortenamt und sein Passat verbraucht sehr wenig.
Wir trinken uns mit Eiergrog in Stimmung und jeder hat dann was zu erzählen. Politik, Kultur, Wirtschaft, Urlaub, Kinder, alles ist erlaubt. „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“, sagt der Wasseruhrenmann schließlich nachdenklich und wir alle schweigen. „Feierabend. Stoff ist alle!“, tönt eine Durchsage grimmig in die Stille, aber erst nach dem dritten Klingeln trocknen wir uns ab. „Gibt es ein Wiedersehen?“, fragt der Wasseruhrenmann. Nur wenn er Lindas mitbringt, da sind wir anderen uns schnell einig. Dann wird noch gesungen. Natürlich „La Paloma“, weil der Wind warm von Süden wehen soll.
„Tu mir mal `ne Karte schicken und lass‘ dich wieder blicken“, sagt der Thorsten an der Kasse. Die Taxis gehen auf das Haus, soviel zur Kulanz. Ich gehe so, wie ich kam, nur mit neuen Glaubenssätzen. In der Ruhe liegt die Kraft. Müßiggang ist aller Laster Anfang. Am Ende wird alles gut – und vieles mehr kommt mir bilanzierend in den Sinn, als ich auf das Taxi warte. Die Droschke kommt. Sie hat, wie bestellt, cranberryfarbenes Leder mit Feenkreisen als Sitzbezug und es wird Barry White gespielt. Auf der Fahrt denke ich ohne Sorgen an den nächsten Tag und spreche lautstark meinen Ängsten die Kündigung aus. Der Fahrer quittiert brummig den Empfang. Irre, die nur mit sich selber sprechen nimmt er nämlich nicht mit.
Als wir vor meiner Tür halten, sehe ich im grellen Licht des Säufermondes, dass die dünne Nachbarin, angetan jetzt mit einer Moncler-Kaffeewärmer-Steppjacke, schon wieder am Kacken gehen ist, mit ihrem gestressten Dalmatiner. „You’re the first, the last, my everything“ tönt es dazu passend aus dem Stereo. Ein Zeichen zweifellos, meinen neuen leichten Mut zu probieren. Aber bin ich schon so weit? Mit Verve reiße ich die Fondtür auf und treffe den Köter hart am Kopf. Das Tier taumelt, fällt aber nicht. Die Alte kreischt wie blöd. Da fällt mir die Papierknolle aus der Tonne zum Knebeln ein. So bringe ich sie zum Schweigen und schreie ihr „Papiertonne war vorgestern“ ins Ohr. Zwei junge Migranten, die gerade einen von sieben BMW X 5 in der Straße aufstemmen, applaudieren. “Ach geht doch, wo ihr wohnt.“
ECO-Programm im Morgengrauen. Die Sprüharme des Geschirrspülers rotieren ruhig und exklusiv für den Klobürstensockel. Wieder ein Problem gelöst. Was sich da alles so angesammelt hatte. Ich fühle mich ruhig und ausgeglichen. Vor mir liegt ein weißes Blatt Papier. Ich beginne den Text mit: „Als die Leidenschaft ihn fand, ging es ihm gleich besser. Teure Autos, schlechte Filme und leichte Mädchen. Er konnte sich alles leisten, nachdem er in einer plötzlichen Eingebung den sich selbst reinigenden Klobürstensockel erfunden hatte. Seine Kindheit war hart gewesen. Seine Eltern waren mit ihrem Kartoffelhof Pleite gegangen, nachdem das Bundessortenamt die Sorte „Linda“ verboten hatte. Sein Vater, ein Assassine, wurde von dem Dalmatiner der magersüchtigen Gerichtsvollzieherin zerfleischt, als er sich der Zwangsräumung des Hofes widersetzte. Seine Mutter schaffte von nun an das Geld ran, in dem sie mit ihrem alten VW Passat von Nachtclub zu Nachtclub tingelte, wo sie mit einer durch vegane Ernährung passivierten jadegrünen Python Schlangentänze aufführte. Ihr treuer Sohn verdiente mit dem Ablesen von Wasseruhren etwas dazu…“
Während ich im Kühlschrank nach den Zutaten für einen frischen Eiergrog suche, überlege ich, ob das Armaturenbrett oder die Sitze des Pantera mit Zobelfell bezogen sein sollen oder sogar beides. Jedenfalls werden sich Feenkreise im Fell bilden. Ob durch das „Vibrato“ oder ein mysteriöses „untertouriges Stampfen“ des Big Block V8, muss ich noch überlegen. Jedenfalls nimmt die Story gleich Fahrt auf. Ein Rennen mit der MV Agusta 600 ORO ist natürlich auch geplant. Jetzt, wo sie so schön sauber ist.
E N D E
8. April 2013 um 21:53 Uhr
Sparks, das ist schon hart an der Grenze zum Postdadaistischen. Ich werde auf meinem bevorstehenden 2013-Abenteuertrip Imperium lesen, um dich endlich mal zu verstehen.
10. April 2013 um 12:58 Uhr
Respekt. Wahre Kunst. Und im Wüst-Assoziativen häufig ein Schmunzeln hervorrufend …
(PS: Und der Pantera ist live ein beeindruckendes Wägelchen.)