Scharfmachers Schatten
Foto: Arielle Kohlschmidt
Wen auch immer ich in den letzten Tagen fragte, niemand wusste mir von Volker Bradke zu erzählen. Das ist bedauerlich, zeigt aber eben, wie nahe Ruhm und Vergessenwerden beieinander liegen. Während ich darüber sinniere, schnarcht ein dicker Mann (immer sind es dicke Männer, die in Romanen schnarchen, nur in der lateinamerikanischen – ganz selten auch in der Literatur des Mittelmeerraums – sind es dicke Frauen) und rutscht im Dämmer den leidlich eleganten ICE-Sessel hinab. Mit freundlicher Aufmerksamkeit verfolgen wir Mitreisenden das kleine Spektakel und schließen stille Wetten mit uns selbst ab, wie tief der Mann noch sinken wird.
Reisen, so heißt es, schärfe den Blick. Vieleicht ist es Volker Bradke nicht gegönnt gewesen, viel zu reisen. Der ungeheure Wert des Bradke-Porträts von Gerhard Richter rühre, ließ ich mir sagen, aus der Unschärfe. Ob Modell oder Maler die Verwischung der Konturen zuzuschreiben ist, scheint nie Gegenstand einer tieferen Betrachtung gewesen zu sein. Mir ist das wurscht. Ich habe Spaß an dem Schnarchbär in seiner hilflosen Haltung. Sicher ist er ein gefürchteter Chef, cholerisch bis in’s Mark, ein ganz übler Schinder, der sich an der Angst der ihm Unterstellten weidet. Und nun das.
Ich beschließe, ein paar Handyfotos zu machen, um sie auf einschlägigen Internetseiten zu veröffentlichen. Mit einem betont schmalen schwarzen Streifen über den Augen erübrigt sich jede warnende Bildunterschrift. Schwarze Balken über den Augen tragen, BILD sei Dank, eine eindeutige Botschaft in die Hirne der Betrachter: Sittenstrolch, Bankausräuber mutmaßlicher Massenmörder. Wenigstens. Auch hier ist eine gewisse Unschärfe von Vorteil, sie gibt dem Bild vom Halunken etwas Echtes, Warmes, Nachbarliches. Sind die Urlaubsfotos von Mutti am Strand nicht auch immer ein bisschen verwackelt?
Während ich fleißig fotografierend meiner Dokumentationspflicht nachkomme, muss ich unwillkürlich an den armen Bradke denken. Dabei sind es weder seine ausgedehnten Sauftouren noch seine fragwürdigen Installationen, denen mein Interesse gilt, sondern vielmehr das Phänomen der bewusst gewählten Unschärfe. Für Gerhard Richter ist Unschärfe ein gewolltes Prinzip der bildnerischen Gestaltung, die jedwede Erkenntnis- und Wahrnehmungsmöglichkeit durch Bilder in Frage stellt. Unschärfe als spezifischer Darstellungsmodus zieht sich quasi durch das gesamte Werk Gerhard Richters und lässt uns unsere vermeintlichen Sicherheiten hinterfragen.
Wieviel Wahrheiten gibt es? Ist Schärfe und behauptete Klarheit einer Situation nicht gerade deswegen eine besonders brutale Form der Lüge, weil sie versucht, die Gegenposition von vorne herein zu diskreditieren? Ausgerechnet jetzt, in diesem Moment, wo die bohrenden Fragen wie mit glühenden Feuerzangen nach meinen Synapsen schnappten, fühlte ich mich unendlich einsam. Die Reisendengemeinschaft unseres Wagens hatte sich bezüglich des Dicken in drei Lager geteilt. Deren kleinstes bestand aus mir, meiner Handykamera und einem jungen, sehr stylisch gekleideten Asiaten, der vermutlich davon ausging, dass es sich bei dem Erlebten um eine vom Kulturdepartment der Bahn gebuchte Gesamtperformance handelte.
Lager zwo tut desinteressiert mit einem Hang zur Angewidertheit, der in meine Richtung deutet. Der dritte und zahlenmäßig stärkste Teil der Leute glotzt unverfroren auf den röhrenden Helden und hofft, dass irgendetwas passieren möge, was die schon lange eingetretene Todesstille ihres sozialen Lebens für einen kurzen Moment erhellen könnte. Ich aber bleibe alleine zurück, eine unbeachtete Notiz im Zettelkasten der Geschichte. Eine der wunderbarsten Frauen, die kennenzulernen in meinem bewegten Leben ich die Freude hatte, wird mir ein scharfes Gericht bereiten am Ende meiner langen Fahrt. Das ist gewiss, wir beiden lieben Deutlichkeit in den Aromen. Ein Trost, zumindest das, während der Dicke weiter sinkt.
4. März 2011 um 11:22 Uhr
Tja lieber Axel, nun moechte ich als geduldiger BILD-Voyer aber auch wissen, ob er nun fiel oder erwachte?
4. März 2011 um 11:34 Uhr
Kaufen Sie auch die nächste Folge unseres spannenden Fortsetzungsromans.
7. März 2011 um 07:13 Uhr
Hehe, sehr nett geschrieben -geradezu poetisch angehaucht.
Was mich noch beschäftigt: ich bin ja auch Blogger und frage mich immer, wo ich so interessante Bilder herbekomme und dein Blog ist voller Bilder. Bezahlst Du dafür oder gibt es da einen Trick um vielleicht sogar kostenlos an Bilder für Blogger ranzukommen.
Danke im Vorraus!
Gruss
DoFollowBlogger
7. März 2011 um 12:43 Uhr
Die Fotografen sind Teil der Blogredaktion, wir sehen die Bilder als ebenso wertvoll an wie die Texte. Ganz einfach.
25. Juli 2013 um 01:28 Uhr
willst du volker bradke kennenlernen? er lebt in marburg!