Du weißes Blatt Papier
Sieh an, wie es vor mir liegt: ruhend in sich selbst, unberührt, geduldig darauf wartend, mit Worten gefüllt zu werden.
Fühlt es sich nutzlos, dieses weiße Blatt Papier?
Verhöhnt, weil ich noch zögere, Worte darauf zu manifestieren?
Ich weiß doch, wie du dich fühlst, du weißes Blatt Papier!
Und manchmal, ja manchmal steigt der Neid in mir auf. Neid, dass du noch so unbeschrieben bist.
So unberührt und rein. Voll froher Erwartungen auf das, was dir widerfahren wird.
Noch weißt du nicht um meine Phrasen, um meine Gedanken, um all die Satzkonstrukte, die ich auf dir verewigen möchte.
Weißt nichts um die Worte und ihre Wirkung, die mein Sein bereits aufsaugen musste.
Um all die ungestümen Pinselstriche und Bleistiftnarben, die es bereits aufnehmen musste.
Kann ich es wagen, dich mit meinen Worten zu beschreiben?
Dein unschuldiges Weiß zu durchbrechen, dir deine Ruhe zu nehmen, sobald das erste Wort auf dich fällt?
All die Bücher um mich herum habe ich zugeschlagen. Auch sie wurden beschrieben, mit heiteren Worten und auch trüben. Fragst du dich, welche du davon stützen musst? Bis in alle Ewigkeit, bis sie verblassen, weil auch du allmählich verblasst?
Kann ich die Sünde auf mich nehmen, dich deiner Reinheit zu berauben?
Du weißes Blatt Papier, ich habe keine andere Wahl! Bist du es doch, das versteht, meine Worte schweigend hinzunehmen, sie nicht zu kommentieren, nicht mit mir darüber zu diskutieren.
Du schließt sie ein in deine Fasern, ganz selbstverständlich, still, in Würde.
Bist selbstlos bereit meine Gedanken aufzunehmen, sie für mich zu verwahren. Für ein Heute, für ein Später, vielleicht auch für ein Nie.
Du weißes Blatt Papier bist so still, blank, so unbedarft. Und doch gibst du mir die größte aller Freiheiten. Du wertest nicht. Du nimmst sie hin, all die Phrasen, Gedanken und Satzkonstrukte. Du überträgst ganz unbewusst einen Teil deiner Unberührtheit auf mich und so schreibe ich alles nieder, alle Regenschauer, Wolkenbrüche und Regenbögen. Schreibe so lang, bis mir all die Phrasen, Gedanken und Satzkonstrukte ausgegangen sind. Stetig getrieben von der Hoffnung und dem flehenden Verlangen dir mehr und mehr zu gleichen.
Durch dich werde ich frei. Werde selbst zu einem weißen Blatt Papier.
Bild/Text: sarah
27. März 2013 um 14:09 Uhr
So kann man auch ein weißes Blatt füllen, sehr gut …
28. März 2013 um 17:52 Uhr
Eigentlich sehe ich es anders:
Leben wir nicht erst, indem wir uns füllen? Mit unseren Erfahrungen und unserem Wissen werden wir klüger und weiser. Je mehr wir aufnehmen mit unseren Sinnen: sehen, hören, schmecken, riechen, fühlen, umso mehr werden wir ganz.
Fertig sind wir erst am Ende des Lebens. Ich glaube, ich möchte nicht mehr rein und weiß sein.