Liebes Dresden,
lange habe ich gezögert, ob ich dir schreiben soll. Zu groß war meine Angst, nicht die richtigen Worte zu finden. Doch nun, da sich der große Hype langsam legt, habe ich keine Bedenken, dass du dir sogar deutliche Worte wünschst. Schließlich bist du nun die Hauptstadt der Meinungsfreiheit.
Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch, verehrtes Dresden. Du hast es innerhalb weniger Wochen geschafft, dass sich die gebrauchten Bundesländer wieder miteinander solidarisierten. Der Ostfriese ist genauso erleichtert wie der Niederbayer – die Witze auf Bühnen und an Stammtischen zielen nun endlich wieder auf den Ossi, den minder Bemittelten aus der sowjetischen Besatzungszone, der schon in der Kinderkrippe zum Gruppenzwang in Form des gemeinschaftlichen Töpfchensitzens erzogen wurde. Wir wollten es all den überqualifizierten Psychologen nicht glauben, die schon vor 20 Jahren davor warnten, dass uns diese diktatorische Pädagogik auf die lederbesohlten Füße fallen wird. Nun sahen wir Woche für Woche den Beweis auf deinen Straßen und Tag für Tag in den Kommentarspalten der Zeitungen und unter den Hass-Tags der unsozialen Medien.
Liebes Dresden, du fragst dich bestimmt, warum ausgerechnet du von diesen miesepetrigen Spaziergängern heimgesucht wurdest. Ich will dich nicht verletzen und du musst jetzt sehr tapfer sein: Es gibt keine andere Großstadt in Deutschland, die auch nur annähernd so gut zu einem rückwärtsgewandten Abendlandspaziergang passt wie Dresden.
Du huldigst mit einem goldenen Standbild einem aufgedunsenen Weiberheld und Kriegstreiber. August der Starke, der übrigens zwei uneheliche Kinder mit Fatima, einer Türkin hatte, die er aus Polen als Kriegsbeute geschenkt bekam. Mag sein, dass dies als Beweis dafür dient, dass Dresdener nichts gegen Ausländer haben. Und ja, du könntest mir jetzt entgegenhalten, dass der sächsische Kurfürst und Polen-König unschätzbare Verdienste für die Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft erwarb. Ja sicher, auf Kosten der geknechteten Bevölkerung, deren Steuergelder er mit beiden Händen ausgab. Und wenn die Staatskasse leer war, bewies August der Starke eine menschenverachtende Kreativität. 1717 erwarb er 150 Vasen und Gefäße aus chinesischem Porzellan, die wir noch heute im Zwinger bewundern. Die Bezahlung freilich war blutig. Er kaufte das Porzellan dem preußischen Soldatenkönig ab, indem er ihm 600 sächsische Landeskinder inklusive Pferden und Ausrüstung als Dragoner-Regiment überließ. Dergleichen ist von Karl Marx nicht überliefert. Dessen Denkmal sucht man im heutigen Dresden vergeblich. Der goldene Sklavenhändler August wird regelmäßig poliert.
Liebes Dresden, du hast geblutet im zweiten Weltkrieg, wie kaum eine andere deutsche Stadt. 25.000 Menschen starben durch die alliierten Bomben im Februar 1945. Eine unsinnige Wahnsinnstat, wie so vieles, was wir einander in Kriegen antun. Du hattest viele Jahre eine offene Wunde, mitten in der Stadt. Ein Mahnmal, das mich immer faszinierte, wenn ich dich besuchte. Die zerbombte Frauenkirche, die wie ein verfaulter Zahn im Maul der Weltgeschichte daran erinnerte, wozu Menschen in der Lage sind, wenn sie einander hassen. Ich hätte dir die Kraft gewünscht, dass du all jenen die Stirn bietest, die an dieser historischen Stelle einen blank geputzten Platz wollten. Jetzt hast du ihn an der Backe, den geleckten Marktplatz. Eine nachgebaute Frauenkirche mit albernen Pferdekutschen davor und Laiendarstellern in Kostümen der blaublütigen Ausbeuter von damals. Das ist in etwa so, als wenn sich die früher unterdrückte dunkelhäutige Bevölkerung der amerikanischen Südstaaten heute in weiße Kutten kleidet und die Touristen zu einem Fackelumzug einlädt. Oh Dresden, du hattest so viel Platz in deinem zerbombten Herzen. Eine einmalige Chance, um der heutigen Generation Raum zu geben. Stattdessen ist dir nichts anderes eingefallen, als nach alten Postkarten und Gemälden deinen Neumarkt so nachzubauen, wie er einst dastand. Jetzt fotografieren die Japaner seelenlose Puppenstuben, die nicht den kleinsten Hauch Geschichte atmen.
Und du bist wirklich verwundert, dass du zehntausende Spaziergänger ertragen musst, die über dein Pflaster hassen? Schau in dein Inneres, dann siehst du die Symptome jahrzehntelanger Minderwertigkeitskomplexe. Deine Kinder und Enkel wurden gehänselt, wenn sie sich im Ferienlager mit Gleichaltrigen aus Magdeburg oder Cottbus trafen. „Sieh an, die Eingeborenen aus dem Tal der Ahnungslosen sind da.“ ARD hieß „Außer Raum Dresden“. Das war ein wichtiger Grund für den Mief in deinem Oberstübchen, der sich Jahr um Jahr ausbreitete, befördert durch einen Exodus der klugen Köpfe. Trotz starker Geburtenjahrgänge verlorst du in den 80er Jahren mehr als 20.000 Einwohner. Diese Menschen zog es nicht nur in den Westen. Ein bisschen echte Großstadt reichte schon, also Ost-Berlin.
Metropole oder Residenzstadt? In dieser Frage warst du immer gespalten, liebes Dresden. Du gibst dich großstädtisch, wirbst um Besucher mit deinen wenigen heil gebliebenen Original-Bauten und deinen Villen für die Besserverdiener an den Elbwiesen, an denen im Halbstundentakt Dampfer vorbei schippern, deren Fahrgäste Schwarzwälder Kirschtorte schmatzen, während der Kapitän in seiner singenden Sprache nette Anekdoten erzählt. Du bist Heimat einer ganzen Armada von lokalpolitischen Versagern. Als die Not so groß war, dass du weder ein noch aus wusstest, holtest du dir ausgerechnet Hilfe aus der Lausitz, einem Gebiet dem der Dresdener gern ein mitleidiges Lächeln schenkt. Unsere Helma aus Weißwasser wurde zu deiner Oberbürgermeisterin. Jetzt ist sie schwer krank.
Ach Dresden! Du beherbergst eine gläserne Manufaktur für einen Volkswagen, den sich das Volk nicht leisten kann. Deine kulturellen Highlights sind die Semperoper und Roland Kaiser, der mittlerweile vier Konzerte nacheinander geben muss, damit alle Untertanten ihrem Idol huldigen können. Irgendwie bist du wie dein Fußballverein: Du träumst von Europacup und spielst doch nur in der dritten Liga.
Liebes Dresden, du bist irgendwann stehen geblieben und wurdest zerrissen in deinem Anspruch, eine weltoffene Metropole zu sein, obwohl deine Bewohner im Herzen gemütliche Residenzstädter sind, denen sächsische Eierschecke zur Vesper reicht. Deshalb wundert es mich nicht wirklich, dass du nur mit Hilfe von eingeflogenen Stars den Hasspredigern etwas Eigenes entgegenzustellen vermagst. Mein liebes Dresden, pass auf dich auf und sorge dafür, dass du in Bewegung bleibst – und nein, damit meine ich nicht, einmal in der Woche im Kreis zu laufen. Sonst ergeht es dir wie deinem goldenen Reiter, der am Ende für seinen Lebenswandel bezahlen musste: August litt unter Diabetes, Bluthochdruck, Stoffwechselstörungen und wog zuletzt über 110 Kilo.
Mit freundlichen Grüßen,
ein Verehrer, der es vorzieht, in der echten Provinz zu leben.
![]() |
||
|
||
![]() |
4. Februar 2015 um 15:45 Uhr
Hallo Mike,
Danke für den Artikel! Schade, dass Dresden so beschädigt ist.
Martin Machowecz trifft es meiner Meinung nach auch ganz gut: http://www.zeit.de/2015/06/pegida-dresden-ostdeutschland
4. Februar 2015 um 21:00 Uhr
genauso wie Dresden sollte jede Stadt, Gemeinde, Dorf und Ansiedlung global
betrachtet werden, besonders von den gewählten und nicht mehr zum Volk zugehörenden
Politikern, da sie abgehoben und nur noch ihrem Gewissen folgen/rechenschaftspflichtig sind.
5. Februar 2015 um 14:46 Uhr
http://www.zeit.de/2015/06/pegida-dresden-ostdeutschland
5. Februar 2015 um 15:00 Uhr
Hi Axel,
wolltest Du meinen Hinweis auf den Artikel in der ‘ZON’ unter #1 nochmals unterstreichen? Danke, finde ich gut!